Die Augen weit aufgerissen. Steriler Raum, vollkommene Stille. Auf dem Nachttisch ein verdorbener Blumenstrauß. Realisierung: ein Krankenhaus. Niemand ist in der Nähe, keine summenden Stimmen erreichen das Gehör, der eigene Atem geht unregelmäßig. Die Situation erscheint fremd – keinerlei Erinnerungen. Vor der Tür herrscht Chaos und Leichen liegen auf dem Flur verstreut. Draußen liegen noch mehr von ihnen; diesmal in weißen Plastiksäcken. Der Versuch der Orientierung scheitert. Die ersten Minuten nach dem verhängnisvollen Unfall des Protagonisten erreichen beinahe etwas wie eine gespenstisch-zerstörende Atmosphäre. Im Anblick der vollkommenen weltlichen Zerstörung blickt Rick Grimes (Andrew Lincoln) verloren in eine Welt, die nicht die seine ist. Ein Ausgestoßener in einer Umgebung des vollkommenen Zerwürfnisses, ohne die Möglichkeit des Verstehens oder der Prävention. Einzig und allein das Wissen, wer er selbst ist, führt ihn zu seiner Erklärung: Die Menschen sind keine Menschen mehr, Amerika nicht mehr der florierende Superstaat und das Überleben hat nun die höchste Priorität von allen. Während Untote über Straßen und Wiesen wandeln, ist es Ricks Bestreben seine Familie zu finden, die, so ist er sich sicher, irgendwo in Atlanta ist.

Für mich waren die Zombies immer Sinnbilder der Revolution: Eine Generation frisst die andere auf“, sagte einst Zombie-Großmeister George A. Romero zu seiner eigenen Interpretation der Untoten-Thematik und hat damit bis heute den Grundstein zum Verständnis von Zombies und Infizierten gelegt. Die Revolution des Lebens, sozusagen. Die menschliche Intelligenz und deren Bewusstsein ändert sich zu den ausgestoßenen Trieben: Das einzige Verlangen, welches Zombies zeigen, ist das drängende Gefühl Menschenfleisch zu konsumieren und sie damit zu verwandeln. „The Walking Dead“, der kulturelle Überhype der letzten Jahre, nähert sich dieser Interpretation generös an und macht aus den einstigen Menschen zerfetzte Kreaturen ohne Verstand. Es ist „der Geruch des Todes“, welcher den Zombie vom Menschen unterscheidet und kann so gleichzeitig als Camouflage zum Überleben genutzt werden. Doch eigentlich sind die Untoten keine Bedrohung für die Überlebens-Mannschaft von Rick, dessen Anführer er alsbald wird, als er die Gruppe (als Letzter) betritt. Anders als in „28 Days Later“ oder „World War Z“, zwei Produkte zur Infizierten-Thematik, bleiben die (im Englischen genannten) Walker schleichende Kreaturen, die erst dann zu einem Problem werden, wenn sie in Gruppen auftreten. So bleibt die Angst stets ein ruhiger Hinterhalt, ein Jammern in der dunklen Stille.

„The Walking Dead“ jedoch macht aus der globalen Angst vor dem Tod einen Seifenoper-Ulk, der sich, so Comic-Erfinder Robert Kirkman, darum dreht, „was mit den menschlichen Figuren passiert“. Dabei sind die Menschen der Serie aber vollkommen egal. Eigennützig fixiert man sich auf seine charakterlichen Nieten, bedauerlicherweise nicht bemerkend, wie uninteressant sie sind. Die eigentliche Ausgangssituation, die weltliche Zerstörung durch die Zombies, bleibt „bloß spannende Hintergrundmusik“. Anstatt die Möglichkeiten der Katastrophe zu bedienen, geht Frank Darabont („Die Verurteilten“) als ausführender Produzent und zeitweise auch Showrunner, den Weg der klassisch-stupiden Einbahnstraße: Menschliche Nonsens-Gefühle stehen im Vordergrund, Konfrontationen innerhalb der Gruppe werden Hauptbestandteil und der maskuline Revierkampf zwischen den Alphatieren bleibt der größte Konfliktpunkt innerhalb des abgestorbenen Typus der Geschichte. Ricks Wunsch seine Familie zu suchen, ist das universelle Rezept der ersten Staffel, wird aber alsbald durch einen lächerlich-simplen Trick aufgelöst. Die Spannung, die aus dem Überlebenskampf eines Einzelnen hervorgehen kann, verteilt sich rücklaufend in den Machtspielchen zweier animalisch-dummer Kontrahenten, die zwischen ihrer eigenen Freundschaft und dem Willen nach Anerkennung des Weibchens wählen müssen.

Auf sechs Episoden beschränkt, klingt das gerade nach einem Bruch auf qualitativer Ebene, angeführt durch die zeitweise noch gut konzipierte Pilotfolge bleibt aber bald darauf kein Platz für Charakterentwicklung. Rick bleibt stets die Schablone des gutmütigen Helden. Selbst seine Frau Lori (Sarah Wayne Callies) bemängelt in einem Flashback die Charakterzüge ihres Mannes: Er solle sie doch einfach mal anschreien, zeigen, wie Unrecht sie hat. Doch Rick ist so bodenständig und dumm, dass er, um seinen Platz als Anführer zu markieren, stets der Ansprechpartner bleibt und niemals ausartet. Direkt zu Beginn wird Rick deswegen auch als Protagonist positioniert, sodass jede Form der Spannung ausbleibt, besonders dann, wenn Rick sich selbst in einer Gefahrensituation befindet. Kritik wird keine an dem wenig resoluten Anführungsstil des ehemaligen Hilfssheriffs gebracht – wieso auch? Es ist doch umso besser, wenn der dumme Durchschnittsbürger möglichst schnell eine Sympathiefigur erhält.

Die Gruppe bricht dadurch innerlich auseinander. Das homogene Bild, bevor Rick auftritt, reißt entzwei. Daryl (Norman Reedus), der interessanteste Charakter der Serie, zeigt mit seinem Verhalten beinahe ironische Selbstreflexion: Er distanziert sich von der Gruppe, denn diese gibt ihm keinen Halt. Genauso fühlt sich der Zuschauer: Verlassen und im Stich gelassen. Der Verlust von Personen ist irrelevant. Es werden infizierte Freunde an Bäume gebunden zurückgelassen und ihrem eigenen Schicksal überlassen. Die Charaktere bleiben debile Einzelgänger, gar keinen ernsthaften Versuch unternehmend, sich zu helfen. Im Fokus steht stets der (Liebes-)Kampf von Rick und Shane (Jon Bernthal) um Lori und deren Sohn Carl (Chandler Riggs). Er gipfelt zwar erst in der folgenden Staffel, bleibt aber hier stets ein Verdummungs-Versuch der Macher, den Blick auf zwischenmenschliche Probleme zu richten.

Die Menschen selbst sollen das Problem im Umgang miteinander sein. Nicht die Zombies, die immer mehr zu Randfiguren karikiert werden, sind die Ursache, dass Städte unbewohnt sind und Menschen sterben. Sie bleiben nur der Köder, um zu fesseln. Manchmal fügen sich Kämpfe gegen die Untoten ein, die eine dubiose Ausrichtung Richtung Gewaltporno haben. Sie gilt dem gaffenden Publikum eine Sensation zu geben, an der sie sich ergötzen können. Es gelingt der Serie erstaunlich gut, ihre Zuschauer für dumm zu verkaufen, denn weder ein politischer, noch ein menschlicher Kontext wird ernstzunehmend thematisiert. Es geht nur um eine Gruppe, die durch ein Land zieht und versucht zu überleben. Ein Road Trip ohne Ziel. Stets nur die beiden Alphamännchen Rick und Shane im Blick, dabei jederzeit vergessend, wie elementar die Nebencharaktere für die Geschichte sind. Der Fokus ist so stringent auf diese beiden Personen gerichtet, dass es schwerfällt, angedeutete Handlungen, die nicht die beiden betreffen, zu verfolgen. Wenn ein Familienmitglied nicht stirbt, sondern zu einem Monster wird, hat das einen emotionalen Wert. Doch das wird distanziert vom Zuschauer behandelt. Es resultiert der Wunsch zu sterben, nicht mehr dem Chaos zu folgen und einfach wieder mit den Menschen vereint zu sein, die man liebt. Doch das ist im Anblick der Beziehungskiste vollkommen irrelevant. Alles wird im Keim erstickt, es zählen nur die Ansichten Shanes und die Taten Ricks.

„The Walking Dead“ hatte mit der Angst vor dem Tod und dem, was daraus folgt – die Zombies –, den popkulturellen Mythos der letzten 50 Jahre auf seiner Seite. Pioniere wie Romero haben den Weg zum salonfähigen Untoten geebnet und doch bleiben die Macher auf der pseudointellektuellen Farce sitzen, zwischenmenschliche Auseinandersetzungen zu behandeln. Es ist wie eine Staffel einer schlechten deutschen Soap – der eine macht’s mit der, die eine stirbt mal da. Inhaltlich ist das Ganze eine Flaute und die Drehbücher sind meilenweit davon entfernt, Originalität zu besitzen. Wie ein schlechter Scherz wird die Zombie-Mythologie ad absurdum geführt und auf dem Weg durch das glorreiche Amerika, dessen politischer und kultureller Hintergrund mit seiner für die Geschichte eigentlich relevanten Akzentuierung (man bedenke das Staffelfinale) ebenso egal ist, wie ein halbes Jahrhundert Zombie-Entwicklung.

Meinungen

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